„Den richtigen Deckel für seinen Topf finden“: Von der Entsprechung zwischen Bewerber und Organisation bei der Stellensuche

Von Steve Binggeli, Doktorand an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (HEC) Lausanne

Es wäre naiv zu glauben, dass es Organisationen gibt, in der sich jeder wohl fühlt. Deshalb ist es von grosser Bedeutung – wenn man mit seiner Arbeit zufrieden sein und seine Karriere gut beginnen möchte – seinen Arbeitgeber mit Sorgfalt auszuwählen. Das Konzept der Kompatibilität zwischen Kandidat und Organisation, wie in diesem Artikel vorgestellt, wird Ihnen helfen die Organisation zu bestimmen, die am besten mit Ihren Erwartungen und Ihrer Person übereinstimmt.

Rekrutierung – eine Frage der Übereinstimmung

Bei der Auswahl des Personals berücksichtigen Personalverant­wortliche zwei Arten der Entsprechung: Die Entsprechung der Person mit der Stelle (P-J Fit) und die Entsprechung der Person mit der Organisation (P-O Fit). Der P-J Fit wird als der Grad der Übereinstimmung zwischen den Anforderungen für eine Stelle und den Kompetenzen, Erfahrungen und Fähigkeiten der Bewerber definiert. Dies ist gemäss den Personalverantwortlichen die wichtigste Form der Entsprechung. Sie ist es auch, welche die Studierenden während des Studiums oder sogar bereits vorher hauptsächlich beschäftigt. Es ist interessant, festzustellen, dass Kinder schon sehr früh gefragt werden, was sie später werden möchten. Hingegen fragt man sie nie, ob sie als Banker z. B. lieber bei der UBS oder der Crédit Suisse arbeiten möchten. Bis Studien­abschluss verändert sich diese Situation kaum. Oft kann man beobachten, dass Studierende ihre Vorstellung von den Organisationen, bei denen sie arbeiten möchten, in erster Linie auf deren Ruf gründen. Der intensive Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt führt zudem dazu, dass einige Studierende meinen, Hauptsache man finde eine Stelle, die Firma sei dabei unwichtig. Doch Untersuchungen bezüglich des P-O Fits zeigen, dass der Grad der Übereinstimmung zwischen den Zielen und Werten der Organisation und den Zielen, Werten und der Persönlichkeit der Bewerber eine Variable darstellt, die fast genauso wesentlich ist wie der P-J Fit, sowohl für die Firma als auch für die angehenden Mitarbeiter. Deshalb sollte man bei der Stellensuche stärker auf die Wahl der Organisation achten.

Die Wichtigkeit des P-O Fits im Arbeitsumfeld

Das Konzept der Kompatibilität von Person und Organisation entstammt der Idee, dass ein Arbeitsumfeld durch die Personen, die sich darin bewegen sowie durch ihre Verhaltensweisen be­stimmt wird. Ein Mechanismus des Anlockens, der Auswahl und der Abnutzung führt dazu, dass sich in einer Organisation Personen mit ähnlichen Eigenschaften, inklusive Wertvorstellungen, einfinden. Konkret bedeutet das: Eine Organisation ist für eine bestimmte Art von Personen attraktiv. Ausserdem stellt sie diejenigen Personen ein, die ihr am ehesten entsprechen. Mit­arbeiter, die sich in der Firma nicht wohl fühlen, neigen dazu, auszuscheiden. So erhält eine Organisation eine Identität, die sich darauf gründet, dass ihre Mitarbeiter zu einem gewissen Grad mehrere Eigenschaften gemeinsam haben. Wer bei einer Bewerbung das eigentliche Wesen einer Organisation nicht berücksichtigt, handelt wie jemand, der sich nur durch das Äussere einer Person angezogen fühlt. Die Chancen, so die verwandte Seele zu finden, sind äusserst gering.

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Kompatibilität zwischen sich selbst und einer Organisation ist auch deshalb relevant, weil der P-O Fit indirekt an die Arbeitsleistung gekoppelt ist. Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben: Je höher die Über­einstimmung zwischen Bewerber und Organisation ist, desto leichter integrieren sich angehende Mitarbeiter ins Unternehmen, desto zufriedener sind sie bei ihrer Arbeit, desto mehr setzen sie sich für ihr Unternehmen ein und desto weniger beabsichtigen sie, die Firma zu verlassen. Aus dieser Sicht wird der berufliche Erfolg von der Kompatibilität zwischen einem Mitarbeiter und der Organisation, für die er arbeitet, beeinflusst. Es wäre also falsch, zu glauben, dass der Erhalt einer Stelle in bestimmten Unternehmen eine Karriere „sichert“. Einfache, auf dem Ruf der Organisationen basierende Überlegungen führen nicht weit, denn: Es gibt kein perfektes System, in dem sich jeder und jede wohl fühlen kann! Nehmen wir als Beispiel den Bereich der Wirtschaftsprüfungs- und Consultingfirmen. Studierende der Management-Lehrgänge bewerten diese oft sehr positiv. Man kann sich aber fragen, ob das ständige Reisen, das äusserst konkurrenzgeprägte und ergebnis­orientierte Umfeld sowie die regelmässigen Teamwechsel wirklich für alle Studierenden geeignet sind, die diese Karriere anstreben. Die leistungsbasierte Logik, die dem P-O Fit zugrunde liegt, deutet darauf hin, dass ihre Chancen zur Entfaltung des eigenen Potentials in einer Organisation höher sind, die ihren Erwartungen und ihrem Profil besser entspricht.

Wie integriert man den P-O Fit in seine Stellensuche?

Die Stellensuche unter Berücksichtigung der Frage nach der Kompatibilität mit der Organisation ist keine exakte Wissen­schaft. Zunächst einmal muss man sich dafür selbst gut kennen, wissen, welche Ziele, Erwartungen, Werte man hat und was die eigene Persönlichkeit prägt. Dann sollte man sich mehr Zeit nehmen, um Informationen über die Organisationen zusammenzutragen, die einen interessieren. Schliesslich ist es wichtig, die Übereinstimmung zwischen dem eigenen Profil und der jeweiligen Organisation zu beurteilen, um herauszufinden, welche Unterneh­men am besten geeignet sein könnten.

Um sich selbst besser kennenzulernen, gibt es eine Vielzahl an psychologischen Tests, mittels derer man sein Profil erstellen kann. Wenn Sie sich dafür interessieren, kontaktieren Sie am besten eine Laufbahnberatungsstelle. Oft werden solche Dienste auch direkt an den Universitäten angeboten. Diese Tests bieten insbesondere den Vorteil einer systematischen Analyse Ihrer Persönlichkeit oder Ihrer Werte anhand einer klaren Struktur und präziser Begriffe. Das Organizational Culture Profile besagt zum Beispiel, dass die Werte von Einzelpersonen und Organisationen in sieben Faktoren zusammengefasst werden können. Diese sind: Innovation, Stabilität, Respekt den Menschen gegenüber, Ergebnisorientierung, Detailorientierung, Teamorientierung und Aggressivität. Die Verwendung eines solchen Tools kann äusserst nützlich sein, um die richtigen Worte zu finden, mit denen Sie sich selbst und dadurch auch Ihre Wünsche beschreiben können.

Eine objektive Bestimmung des Person-Organization Fits für mehrere Organisationen ist alleine nicht zu bewältigen. Dazu müssten sich die Organisationen einem Test zur Bestimmung ihrer Profile unterziehen. Sie selbst müssten den gleichen Test ausfüllen und könnten dann Ihre Antworten mit denjenigen der Unternehmen vergleichen. Dieses Problem kann jedoch mit einem Beurteilungsraster gelöst werden, das Sie zum Vergleich verschiedener
Organisationen erstellen. Legen Sie dafür eine Tabelle an und füllen Sie die Zeilen der ersten Spalte mit sämtlichen Elementen, die Ihnen am Herzen liegen und Ihre Persönlichkeit ausmachen: Nehmen wir einmal an, Sie wünschten sich eine Organisation, die ein breitgefächertes internes Weiterbildungsprogramm anbietet. Notieren Sie es. Auf der nächsten Zeile halten Sie zum Beispiel fest, dass der Respekt den Menschen gegenüber für Sie einen wichtigen Wert darstellt, der Ihrer Meinung nach über ein aktives Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter umgesetzt wird.

Und so weiter ... Nach und nach werden Sie eine Reihe von Kriterien erarbeiten, anhand derer Sie bestimmen können, was für eine Organisation Sie anstreben. Ist Ihre Liste vollständig, notieren Sie die Namen der Organisationen, die Sie beurteilen wollen, in der obersten Zeile jeder Spalte Ihrer Tabelle. Sammeln Sie relevante Informationen über jede Organisation und bewerten Sie sie an­schliessend nach den festgelegten Kriterien, zum Beispiel mit einer Skala von 1 bis 5 (1= entspricht überhaupt nicht; 5 =entspricht vollkommen). Danach können Sie erkennen, welche Organisation Ihnen am ehesten entspricht: Zählen Sie die jeweiligen Punkte zusammen und berechnen Sie den Durchschnitt Ihrer Beurteilung nach den festgelegten Kriterien.

Die zum Ausfüllen Ihres Rasters benötigten Informationen erhalten Sie über verschiedene Kanäle. Natürlich können Sie im Internet surfen und die Websites der Organisationen anschauen sowie nach Pressemeldungen über die Firmen suchen. Die zweite
Informationsquelle stellt Ihr Beziehungsnetz dar. Diskutieren Sie mit den Personen in Ihrem Umfeld und finden Sie heraus, wo diese arbeiten und wie deren Unternehmen zu den Kriterien stehen die Sie interessieren. Eine dritte Informationsquelle bieten Jobvermittlungsagenturen. Die Angestellten dieser Agenturen arbeiten jedoch oft nicht direkt für die Organisationen, die sie beauftragen. Deshalb können sie möglicherweise nicht alle Ihre Fragen beantworten. Die meisten Informationen über eine Organisation erhalten Sie von deren jeweiligen offiziellen Vertretern und HR-Verantwortlichen. Sie können diese zum Beispiel bei Absolventenforen an der Universität treffen und mit ihnen diskutieren. Vergessen Sie dabei aber nicht, dass KMUs, internationale Organisationen und Startup-Unternehmen oft nicht an solchen Anlässen teilnehmen. Schliesslich können Sie sich auch beim Vorstellungsgespräch Informationen über eine Organisation beschaffen. Dieses Gespräch ist ein entscheidender Meilenstein bei der Beurteilung des P-O Fits, sowohl für Sie selbst als auch für den Arbeitgeber.

Schlussfolgerung

Die Auseinandersetzung mit dem Person-Organization Fit wird Ihnen erlauben, während des Vorstellungsgesprächs überzeugende Argumente vorzubringen. Personalverantwortliche erachten es nämlich als äusserst wichtig, herauszufinden, warum Sie sich ausgerechnet für ihr Unternehmen interessieren. Schliesslich erhöhen Sie durch die Überprüfung Ihrer Kompatibilität mit einer Organisation zudem Ihre Chancen auf Zufriedenheit am Arbeitsplatz und damit auf einen erfolgreichen Berufseinstieg.